20.04.2009: Kleine Anfrage

Deutscher Bundestag
Drucksache 16/12652
16. Wahlperiode
20. 04. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Diana Golze, Dr. Lothar Bisky, Eva Bulling-Schröter, Dr. Dagmar Enkelmann, Lutz Heilmann, Dorothee Menzner, Wolfgang Neskovic, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 17 – Bedarf und Prognosen

Das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 17 (VDE 17) war bereits Bestandteil des Bundesverkehrswegeplanes 1992 und basiert auf veralteten Prognosen. Je nach Streckenabschnitt beträgt der aktuelle Gütertransport in Brandenburg zwischen zwölf Prozent und 14,5 Prozent der Prognose für 2010. Die auf dem Wasser transportierte Gütermenge ist im Vergleich zu Werten der 90er Jahre auf ein Drittel zurückgegangen, und das, obwohl durch die bisherigen Ausbaumaßnahmen die Bedingungen für die Binnenschifffahrt quantitativ verbessert wurden. Seit 2004 können voll beladene Europaschiffe mit 2,50 m Abladetiefe so- wie teilweise beladene Großmotorgüterschiffe (GMS) mit 2,20 m Abladetiefe die Havel in Brandenburg befahren. Auch der zweilagige Containertransport ist seitdem möglich. Erforderlich ist lediglich eine Anpassung der Durchfahrtshöhen der Brücken.
In der „Prognose der deutschlandweiten Verkehrsverflechtungen 2025„, die im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) erstellt wurde, wird für die Region Berlin-Brandenburg mit einer Stagnation des gesamten Güterverkehrs bis zum Jahr 2025 gerechnet. Für die Binnenschifffahrt wird eine Reduzierung des Aufkommens um 26 Prozent, bezogen auf das Jahr 2004, prognostiziert.
Die Realisierung des VDE 17 erfordert massive Eingriffe in die Natur, den Wasserhaushalt und das Landschaftsbild. Die erheblichen negativen Umweltauswirkungen, die mit dem Projekt verbunden sind, stehen in keinem Verhältnis zum Nutzen des Projekts. Welchen Nutzen dieses Projekt angesichts der Entwicklung des Transportaufkommens überhaupt noch hat, ist sehr fraglich. Das Gleiche gilt für den Ausbau der Schleuse Kleinmachnow. Der hierfür prognostizierte Transportbedarf kann nachweislich mit einer 115 m langen Schleuse befriedigt werden. Ein Ausbau der Schleuse auf 190 m ist nicht erforderlich. Die Fortführung des VDE 17 käme einer Verschwendung von Steuergeldern gleich. Die Gesamtkosten für das VDE 17 werden auf ca. 2,3 Mrd. Euro geschätzt, davon wurden bereits 1,2 Mrd. Euro verbaut. Die Wirtschaftlichkeit des Projekts konnte zu keinem Zeitpunkt nachgewiesen werden. Die Stadt Potsdam sowie der BUND Brandenburg (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland – BUND) haben Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss zum Ausbau des Sacrow-Paretzer-Kanals eingereicht.

Wir fragen die Bundesregierung:

VDE 17
1. Wie ist der aktuelle Planungs- und Realisierungsstand der Planungsabschnitte des VDE 17?
2. Mit welchen Planungs- und Baukosten ist für die jeweiligen Planungsabschnitte zu rechnen?
3. Wie hoch war 1990 die zulässige Abladetiefe, Länge und damit max. Tragfähigkeit für Motorgüterschiffe und Schubverbände für die Wasserstraßenverbindung zwischen Magdeburg und Berlin (bitte separat aufgeschlüsselt für die einzelnen Wasserstraßenabschnitte darstellen)?
4. Wie viele Europaschiffe und Elbe- und Havel-Schubverbände mit 2,50 m Tiefgang nutzen die bereits ausgebaute Wasserstraße zwischen Magdeburg und Berlin aufgrund der verbesserten Bedingungen (Trogbrücke, Sohlvertiefung, etc.) seit 2004?
5. Wie viele GMS mit 110 m Länge und bis zu 2,20 m Abladetiefe nutzen die bereits ausgebaute Wasserstraße zwischen Magdeburg und Berlin aufgrund der verbesserten Bedingungen (Trogbrücke, Sohlvertiefung, etc.) seit 2004 mit Sondergenehmigung?
6. Welche Ausbauziele sind für die Havel-Oder-Wasserstraße mit der Anbindung nach Stettin vorgesehen?
Welche Schiffe sollen diese Wasserstraße zukünftig befahren können?
7. Welche Schiffsgrößen sind auf der Spree-Oder-Wasserstraße und dem Teltowkanal zulässig?
Können diese bereits unter den derzeitigen Bedingungen auf der Wasserstraßenverbindung zwischen Magdeburg und Berlin verkehren?
8. Welche aktuellen Planungen mit welchen Ausbauzielen gibt es für die Sanierung bzw. den Ausbau der Spree-Oder-Wasserstraße und des Teltowkanals, und bis wann sollen diese umgesetzt werden?
Sacrow-Paretzer-Kanal
9. Welche eigenständige Verkehrsfunktion weist der planfestgestellte Ausbau des Sacrow-Paretzer-Kanals auf, wenn auf die Realisierung der östlich und westlich gelegenen Planabschnitte verzichtet wird?
10. Welche Häfen und Ladestellen können von einem GMS 110 oder einem Großschubverband mit jeweils 2,80 m Abladetiefe angefahren werden, wenn zwar der Sacrow-Paretzer-Kanal, nicht aber – entsprechend des Beschlusses des Berliner Abgeordnetenhauses vom 10. Juli 2008 – die Spandauer Havel und die Spree von der Mündung bis zur Schleuse Charlotten- burg ausgebaut werden?
11. Fühlt sich die Bundesregierung an den Beschluss des Berliner Abgeordnetenhauses vom 10. Juli 2008 gebunden, beim Ausbau der Spandauer Havel und der Spree von der Mündung bis zur Schleuse Charlottenburg auf eine Abladetiefe von 2,80 m zu verzichten und für die Berliner Wasserstraßen auf den Ausbau nach Wasserstraßenklasse V b zu verzichten?
Wenn nein, warum nicht?
12. Welche Prognosen oder Fahrsimulationen liegen der Bundesregierung vor, die die Notwendigkeit einer Anlage von Ausweichstellen oder der Neuanlage von Wartestellen (Jungfernsee) bei einem eingeschränkten Begegnungsverkehr auf dem Sacrow-Paretzer-Kanal konkret begründen?
13. Bis zu welcher Breite und Tiefe von Schiffen sind Begegnungen mit Europaschiffen bis zu 2,50 m Abladetiefe bzw. GMS 110 mit 2,20 m Tiefgang auf dem Sacrow-Paretzer-Kanal möglich?
Transportmengen, Prognosen und Wirtschaftlichkeit
14. Wie hoch ist die per Binnenschiff transportierte Gütermenge in Deutschland (in Tonnen) insgesamt, und wie viel davon wird über die Strecke Brandenburg (Havel) bis Berlin transportiert?
15. Wie hat sich der Güterumschlag per Schiff in Brandenburg und Berlin seit 1990 entwickelt und wie bewertet die Bundesregierung diese Entwicklung (bitte Daten für die einzelnen Jahre nennen)?
16. Wie haben sich die Transportmengen auf der Trogbrücke (Wasserstraßenkreuz) und den Planungsabschnitten zwischen Brandenburg (Havel) und Berlin sowie insbesondere auf dem Sacrow-Paretzer-Kanal seit 1990 entwickelt (Bitte die Daten für die einzelnen Jahre nennen, sofern der Bundesregierung keine Zahlen für den Sacrow-Paretzer-Kanal vorliegen, bitte die Daten für den Durchgang der Schleuse Brandenburg darstellen)?
17. Welche seit 1990 erstellten Prognosen für die Entwicklung des Güterumschlags per Schiff in Brandenburg und Berlin bei einer Realisierung des VDE 17 sind der Bundesregierung bekannt?
a) Welche Güterumschläge per Schiff werden dabei jeweils für Brandenburg und Berlin prognostiziert?
b) Welche Transportmengen werden für den Sacrow-Paretzer-Kanal prognostiziert?
18. Welche Prognosezahlen und Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen legt die Bundesregierung für das VDE 17 bzw. den Ausbau des Sacrow-Paretzer- Kanals zu Grunde?
19. Wurde eine vergleichende Nutzen-Kosten-Analyse für das VDE 17 mit einer Verringerung der Ausbaumaße (keine Verbreiterung, keine weitere Vertiefung) für das VDE 17 insgesamt bzw. für einzelne Planabschnitte durchgeführt?
Wenn ja, mit welchem Ergebnis?
Wenn nein, warum nicht?
20. Trifft es zu, dass die Planfeststellungsbehörde die Erstellung oder Berücksichtigung aktueller Verkehrsprognosen und/oder Kosten-Nutzen-Analysen im Planfeststellungsbeschluss für den Sacrow-Paretzer-Kanal abgelehnt hat?
Wenn ja, mit welcher Begründung?
21. Wie bewertet die Bundesregierung die Aktualität der Prognosezahlen und der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung?
22. Inwieweit hält es die Bundesregierung vor dem Hintergrund des Prinzips der sparsamen und wirtschaftlichen Verwendung öffentlicher Mittel für ge- boten, aktuelle Prognosedaten sowie eine aktuelle Wirtschaftlichkeitsuntersuchung für das VDE 17 erstellen zu lassen (Begründung)?
23. Welche Gründe haben nach Ansicht der Bundesregierung dazu geführt, dass trotz der erhöhten Leistungsfähigkeit der Wasserstraße die derzeitigen Transportmengen immer noch deutlich unter den realen Zahlen der 90er Jahre liegen?
24. Inwieweit trifft es zu, dass die Verringerung der Ausbaumaße auf 2,20 m für die Havel-Oder-Wasserstraße (HOW) u. a. auf einer Kosten-Nutzen- Analyse der PLANCO Consulting GmbH aus dem Jahr 1992 basiert, die das Ergebnis hatte, dass die geringere Dimensionierung auch wirtschaftlich vorteilhaft sei?
Von welchen prognostizierten Transportmengen ging PLANCO dabei für die HOW aus?
25. Wie hoch ist der Anteil von GMS mit einer Tragfähigkeit von bis zu 1 500 Tragfähigkeitstonnen an der Gesamtflotte?
Trifft es zu, dass seit Jahren nur noch Gütermotorschiffe größer als 1 500 Tragfähigkeitstonnen neu gebaut werden?
26. Welche Güterfernverkehre von Massengütern – differenziert nach den Gütergruppen Kohle, Baustoffe und Metalle – nach Berlin und Brandenburg finden derzeit auf der Straße statt und könnten nach Ansicht der Bundesregierung erst dann auf die Wasserstraße verlagert werden, wenn die Wasserstraßenverbindung von Magdeburg nach Berlin auf Wasserstraßenklasse V b ausgebaut wurde?
27. Welche Güterfernverkehre – benannt nach Menge und Güterart – die der- zeit auf der Straße stattfinden, könnten nach Ansicht der Bundesregierung außerdem noch auf die Wasserstraße verlagert werden?
28. Wurde geprüft, welche Verlagerungspotenziale von der Straße auf das Binnenschiff schon heute bestehen?
a) Wenn ja, zu welchem Ergebnis kommen diese Prüfungen?
b) Wenn keine Prüfung durchgeführt wurde, warum nicht?
29. Aus welchen Gründen werden die in Frage 28 ggf. aufgezeigten Potenziale nicht genutzt?
30. Wie hoch ist nach der PLANCO- Studie „Ergänzende Projektbewertung für den Ausbau von Binnenschifffahrtsstraßen am Beispiel von Projekt 17 Deutsche Einheit„ im Auftrag des Bundesministers für Verkehr von 1995 der Anteil der Transporte, die bei einer Nicht-Realisierung des VDE 17 jeweils auf der Straße und der Schiene erfolgen würden (Angaben in Prozent)?
31. Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse der kürzlich von der TU Hamburg-Harburg zum VDE 17 Vorhaben 4 und 5 veröffentlichten Studie?
Eingriffe in die Natur
32. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über zu erwartende Veränderungen im Wasserhaushalt durch den geplanten Havelausbau vor?
33. Mit welchen Auswirkungen ist für Flora und Fauna im Ausbaugebiet zu rechnen?
34. Hat die Bundesregierung diesbezügliche Untersuchungen und Hinweise von Naturschutzverbänden in die Planungen des Havelausbaus einfließen lassen?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn ja, welche und wie?

Berlin, den 15. April 2009
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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